In den beiden Albumwerken „Kak na kievskom vokzale“ (dt. „Einst am Kiewer Bahnhof“) und „Kartinki s vystavki“ (dt. „Bilder einer Ausstellung“) inszeniert Tamara Ivanova einen harten Kontrast zwischen der naiv beschaulichen Ästhetik folkloristisch anmutender Bilder, bzw. den Anspielungen auf Meisterwerke der Kunstgeschichte auf der einen Seite sowie den satirischen, bisweilen derb-obszönen Kommentaren im begleitenden Text auf der anderen Seite.
Ein zentrales gestalterisches Element auf sprachlicher Ebene stellen hierbei die so genannten „Tschastuschki“ dar: ein spezifisch russisches volkstümliches Verslied-Genre bestehend aus meist vier kurzen gereimten Zeilen, die ursprünglich zu instrumentaler Begleitung gesungen wurden. Populär geworden und große Verbreitung gefunden haben die Tschastuschki Ende des 19. Jahrhunderts. Ihren dörflichen Charakter, die Behandlung von Alltagsthemen bis hin zum Kritischen, ihr politisch-subversives Potential haben die Tschastuschki seitdem beibehalten und zu Zeiten der Sowjetdiktatur nicht selten auch in Richtung des Dissidenten, von der herrschenden Kultur Verfemten hin ausgebaut...
In der Mappe „Kartinki s vystavki“ (“Bilder einer Ausstellung“) sind die Tschastuschki eher harmlosen, ironischen Inhalts, was sie als augenzwinkernde Kommentare zu den bekannten Werken der Kunstgeschichte, denen sie beigegeben sind, lesbar macht. In einer Mischung aus volkstümlichem Bilderbogen und Comicästhetik zeichnet Ivanova Motive bekannte Werke der Kunstgeschichte – darunter Bilder des Rokoko-Malers Fragonard, von Édouard Manet oder Marc Chagall – nach.
In den beiden Werken erkundet die Künstlerin letztlich in einem postmodernen Spiel mit den Grenzen künstlerischer Freiheit und ausdrücklich vor dem Hintergrund historischer Bezüge zur künstlerischen russischen Tradition das Reservoir postsowjetischer, ästhetischer Kreativität.